Eigentlich…ja!

„Wollen wir heiraten?“  „Eigentlich ja!“

– wenn Füllwörter zu Tretminen werden.

Eigentlich klar: Während unserer bisherigen Präsenztage im Rahmen des WORTWERT-Programms für das St. Vincenz – Krankenhaus war kein anderes Thema ein solcher Renner wie die Füll- und Ablenkungswörter. Die Liste der Füllwörter führte das beliebte „eigentlich“ an. So inflationär wird es verwendet, dass wir schon gar nicht mehr wissen, was es „eigentlich“ bedeutet.

Und damit sind wir dem Wortsinn bereits auf der Spur. So verwendet wie im letzten Satz dieses Textes verweist „eigentlich“ auf seine ursprüngliche Bedeutung. Es hat etwas mit „eigen“ zu tun, also, „zu mir gehörig“, „originär“. Bin ich „eigentlich“, dann bin ich so, wie ich es meine, bei der Wortbedeutung, beim Ursprung. Echt. 

Ist es nicht seltsam, dass dieses Wort, das eigentlich das Wesentliche anzeigen sollte, zu einem Verwässerungsbegriff verkommen ist, mit dem man ausweicht und um die Wahrheit herumredet?

Doch der Reihe nach: Was bedeutet eigentlich „eigentlich“, wenn man es aus Sicht der Deutschlehrer betrachtet?
Man kann „eigentlich“ als Adverb benutzen, also als eine Ergänzung zu dem, was gerade passiert. Das funktioniert aber eher in altertümlicher Sprache.

Beispiel: „Ich versichere dir, eigentlich (im Sinne von eigenhändig, eigen-verantwortlich) die Wahrheit zu sprechen.“
Früher sagte man auch, man nehme etwas „eigentlich“, wenn man meinte, dass man es im Wortsinne annehme. Auch wurde es synonym zu „ernsthaft, wahrhaftig, entschieden“ benutzt. „Eigentlich“ bedeutete also so viel wie „Ich meine es ernst.“

Als so genannter Partikel, als Ergänzung, funktioniert „eigentlich“ anders. Hier bedeutet es so viel wie „ursprünglich“, „von der Idee her“.
Beispiel: „Eigentlich wollten wir mal wieder an die See, aber…“

Auch als Ersatz für „überhaupt“ wird es benutzt. „Was machst du eigentlich hier?“

Die häufigste Verwendung findet „eigentlich“ aber heute als Ersatz für die Begriffe „sozusagen“, „gewissermaßen“ oder „schon“, die meist eine Einschränkung oder Verneinung nach sich ziehen.

„Ich finde die Idee eigentlich gut.“ Klingt okay. „Eigentlich“ lässt aber immer ein Hintertürchen offen, durch das man die Aussage relativieren oder sogar zurücknehmen kann, weil das durch das „Eigentlich“ eingeleitete „aber“ das ganze Statement wankt. So betrachtet könnte man „eigentlich“ auch durch „im Prinzip ja, in diesem Fall aber…“ ersetzen. Und das macht „eigentlich“ so ärgerlich.

Gerade, wenn man, wie im Krankenhaus, auf verbindliche Aussagen angewiesen ist, wenn man sich (ob als Patient oder Pflegekraft) darauf verlässt, dass das Gesagte auch so gemeint ist, schafft das relativierende „eigentlich“ eine unnötige Unsicherheit.
Nehmen wir den Standardsatz:
„Eigentlich müssten Sie gleich dran kommen.“ Gemäß unserer Argumentation könnte man ihn ersetzen durch:

„Sie müssten sozusagen gleich dran kommen.“ – Das macht keinen Sinn.
„Sie müssten gewissermaßen gleich dran kommen.“ – Dieser Satz klingt so vage, dass der Patient zu Recht verärgert wäre.
„Sie müssten im Prinzip gleich dran kommen.“ – Aha. Und anscheinend kündigt sich da eine Ausnahme vom Prinzip an.

Man erkennt: „Eigentlich“ wird im heutigen Sprachgebrauch als Beschwichtigungsformel und Hintertürchen für Absagen gebraucht. Das macht es mit Fug und Recht zu einem Ballastwort, das man als guten Vorsatz für 2017 abwerfen könnte. Das geht noch nicht? Dann nehmen Sie sich doch einfach vor, es im neuen Jahr einmal sehr kritisch zu beobachten. Wir sind sicher, dass das schon eine ganze Menge bringen wird.