Wortwert

Schwierige Patienten – Mythos oder Alltag?

Frech scheinen sie, anspruchsvoll, rechthaberisch, übergriffig, unverschämt, unzufrieden, nörgelig, wehleidig, überängstlich. All diese Begriffe lassen sich unter dem Titel „schwierige Patienten“ zusammenfassen. Werden diese Patienten immer mehr?

Schwierige Patienten werden, glaubt man den Einträgen in Fachforen und der Presse, immer zahlreicher. Doch was heißt denn „schwierig“ konkret? Sind diese Menschen generell schwierig im Umgang? Ecken sie auch zu Hause an? Sind es Leute, denen es niemand recht machen kann? Gibt es ihn, den schwierigen Menschen? Oder sind diese Patienten vielleicht gar nicht immer schwierig, sondern nur in dieser speziellen Situation? Und sind sie vielleicht auch nur in dieser Situation und nur für SIE schwierig?

Vorweg: Nein, Sie sind in den seltensten Fällen selbst schuld daran, wenn Patienten unzufrieden sind. Doch ein wichtiger Schlüssel zur empfundenen Unzufriedenheit ist die beobachtende Wahrnehmung des Geäußerten und die Art und Weise, wie Sie darauf reagieren.

In diesem Beitrag sollen einige Tipps vorgestellt werden, wie man auf bestimmte, wiederkehrende Formen „schwierigen“ Verhaltens reagieren kann.


Lassen Sie uns „schwierig“ präzisieren. Was genau tut der Patient, wie verhält sich die Patientin? Trennen Sie das Verhalten von der Person.

Man kann sich nicht „schwierig“ verhalten, sondern nur „schwierig“ sein. Indem Sie „schwierig“ sagen, klassifizieren Sie den ganzen Menschen. Wenn Sie sein Verhalten beschreiben, geht es um seine Aktionen in einem bestimmten Kontext und einer bestimmten Situation.

Wie möchten Sie behandelt werden? Sind Sie sich darüber klar? Haben Sie innerhalb Ihres Teams ein einheitliches Verständnis davon, was „noch im Rahmen“ ist und was nicht? Für den einen Pfleger ist „Haben Sie keine Augen im Kopf?“ vielleicht ein bisschen derb, aber harmlos, für jemand anderen ist das schon ein Affront. Der Umgang mit „schwierigen Patienten“ wird auch dadurch leichter, dass man sich auf die übereinstimmende Bewertung der anderen verlassen kann. Dann verändert sich die Grundhaltung dem Verhalten des Patienten gegenüber.


VERHALTENSWEISEN:

Beispiel: Im Wartebereich wirkt ein Patient schon eine Weile nervös. Er kommt mit unklaren Schmerzen, hat weder Fieber noch sonstige Störungen der Vitalfunktionen. Er verbreitet Unruhe, geht auf und ab und schaut ständig auf die Uhr. Als der Patient mit dem gebrochenen Handgelenk zum Röntgen gebracht wird, schnauzt er los.

„Was ist denn das hier für ein inkompetenter Haufen? Haben Sie keine Augen im Kopf? Ich war viel früher dran! Jetzt aber zügig, sonst kriegen wir Stress!“

Was beobachten wir?

a.) Der Patient ignoriert Reihenfolgen und die Bedürfnisse anderer, vielleicht schwerer betroffener Patienten.

In diesem Fall nutzt es wenig, erzieherisch einzuwirken und womöglich auf die Regeln der Höflichkeit hinzuweisen. Hätte er diese zur Verfügung, würde er sie benutzen, er kann es aber gerade nicht. Wenden Sie sich im Gegenteil eben diesem Patienten zu und signalisieren Sie ihm: „Sie sind in zehn Minuten/ einer halben Stunde etc. dran.“ Er möchte gesehen und ernst genommen werden. Ob die Art und Weise, wie er das äußert, nun passend oder unpassend sein mag: Ihn zu erziehen und z.B. zur Strafe in der Reihenfolge zurückzusetzen und noch länger warten zu lassen, wäre eigenmächtig und kontraproduktiv. Sie lassen sich damit auf sein Spiel ein und haben den Drängler noch länger im Wartezimmer sitzen, wo er unter Umständen unter den andere Wartenden noch mehr Unruhe verbreitet.

b.) Der Patient vergreift sich im Ton. Er wird ausfällig oder drohend.

Auch hier hilft erzieherisches Eingreifen wenig. Spiegeln funktioniert hier besser. Geben Sie das Anliegen des Patienten in eigenen Worten wieder oder quittieren Sie seine Tiraden mit einem Lächeln. Das nimmt ihm mit etwas Glück den Wind aus den Segeln.

Auch schnippische oder schlagfertige Antworten sind kontraproduktiv. „Haben Sie keine Augen im Kopf?“ mit „Ich wünschte, es wäre so, wenn ich Sie ansehe“ zu quittieren, gibt einem innerlich das Gefühl von Genugtuung. Doch eine solche Antwort eskaliert garantiert. Im schlimmsten Fall folgt eine Beschwerde gegen Sie, bei der Sie vermutlich den Kürzeren ziehen.

c.) Der Patient nörgelt, ist unzufrieden, beschwert sich häufig.

Unangenehm ist das, denn Sie geben ja bereits Ihr Bestes, um ihm den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. Wer nun versucht, dem Patienten seine Missstimmung auszureden, tappt in eine Falle. Auf jedes „Aber“, das Sie bringen, wird ihm ein gegenteiliges „Aber“ einfallen. Jedem Argument wird ein Gegenargument folgen, die Lösung rückt immer weiter in die Ferne. Stattdessen ist es besser, auch hier wieder zu spiegeln. Der Patient möchte gehört werden, manche brauchen das in regelmäßigen Abständen. Die Missempfindung, im Krankenhaus sein zu müssen, äußert sich vielleicht in einem gesteigerten Aufmerksamkeitsbedürfnis. Und da zufriedene Patienten meist „einfach so mitlaufen“, hilft Unzufriedenheit mehr bei der Suche nach Zuwendung, so die subjektive Wahrnemung des Nörglers. Wer dem Patienten spiegelt, dass er gehört hat, was dieser zu sagen hat, wird ihn nicht davon abhalten, sich weiterhin häufig zu melden. Doch daraus müssen dann keine Konflikte oder Missverständnisse mehr entstehen Ihre persönliche Betroffenheit nimmt ab. Nehmen Sie es nicht persönlich. Der Patient meint höchstwahrscheinlich nicht Sie oder Ihre Arbeit. Er möchte vielleicht nur hören: „Okay, Herr Müller. Ihnen ist kalt. Brauchen Sie noch eine Decke?“ oder „Ich kann verstehen, dass es Sie nervt, Frau Schmidt, dass Sie Ihren OP-Termin noch nicht kennen. Ich frage in der nächsten Pause noch einmal nach. Sobald ich etwas weiß, gebe ich Ihnen Bescheid. Versprochen.“


KÖRPERSPRACHE UND INNERE HALTUNG:

Es gibt einige gute Tipps um in Konflikten Handlungsspielraum zu bewahren und diese spielen sich im Bereich der Parasprache und Körpersprache ab. Als Parasprache bezeichnet man all die Phänomene, die beim Sprechen unbewusst als Information weitergegeben werden (Dialekt, Stimmbildung, Atmung usw.).

  • In Situationen, in denen Sie mit so genannten schwierigen Patienten zu tun haben, ist die Selbstberuhigung durch Atmung wichtig. Atmen Sie bewusst und tief in den Bauch hinein. Machen Sie sich gerade, geben Sie ihrer Atmung die Chance, Sie zu beruhigen. Dabei hilft der „goldene Faden“, ein vorgestellter Aufrichtefaden an Ihrem Scheitel, der Sie immer wieder gerade macht und buchstäblich in die Höhe zieht.
  • Sie können der Situation die Schärfe nehmen, indem Sie Ihre Position verändern. Treten Sie nicht zurück (Ausweichen) oder nach vorn (Attacke), sondern einen Schritt zur Seite, heraus aus der verbalen Kampfzone. Vielen Menschen hilft das, sich zu beruhigen und besonnener agieren zu können.
  • Manchen gelingt es auch, vor ihrem inneren Auge das Geschehen als Stück auf einer Theaterbühne zu betrachten. Im Zuschauerraum sitzend sieht man die zwei Disputanden aus der Ferne an und ist so bereits deutlich weniger einbezogen.
  • Die „Als-ob“ Variante ist die Königsdisziplin im Umgang mit als schwierig empfundenen Mitmenschen. Sich selbst dazu anzuregen, das Gegenüber eigentlich zu mögen und als angenehmen Menschen zu betrachten, hilft, die eigene (oftmals auch aggressive und ablehnende) Körpersprache zu verändern. Wem das nicht auf Anhieb gelingt, kann sich vorstellen, dass es einen Menschen geben muss, der diesen Mann, diese Frau gerne mag. Vielleicht ein Enkelkind oder ein Kollege. Rückbezug zum Anfang: Dieser Patient muss nicht immer und überall ein schwieriger Zeitgenosse sein. Ob Sie es sich vorstellen können oder nicht: Wahrscheinlich ist er in anderen Lebensbereichen ein recht netter Mensch.

BEOBACHTEN STATT BEWERTEN:

In einer überkritischen Äußerung, in einer sprachlichen Entgleisung und in einem verbalen Übergriff stecken in der Regel drei Komponenten und zwar:

  • Die Wahrnehmung
  • Die Interpretation
  • Das Gefühl

Nehmen wir an, ein Patient beschwert sich in der Verwaltung. Er schimpft: „Schon achtmal bin ich in den letzten Jahren am Knie operiert worden, in vier Kliniken war ich schon. Aber so was wie das hier ist mir noch nie passiert. Was ist denn bei Ihnen los, dass Sie das nicht hinbekommen, mir einen vernünftigen Reha-Schein auszustellen?“

⇒Sie nehmen wahr: „Dieser Patient ist wütend. Das macht mich nervös. Ich fühle mich hilflos.“

⇒Sie interpretieren: „Mensch, so etwas ist uns noch nie passiert. Kann das denn sein? Was ist denn da schief gelaufen?“ und runzeln die Stirn.

⇒Der Patient sieht ihre gerunzelte Stirn und interpretiert diese wiederum als Gefühl seiner Aussage gegenüber. Aber da hier Körpersprache verwendet wird, entsteht eine Menge Deutungsspielraum.

⇒Er denkt: „Die ist sauer über meine Kritik. Ich werde nicht ernst genommen.“

⇒Und sagt: „Ja, da gucken Sie jetzt dumm. Das wird man aber doch wohl noch sagen dürfen…“

Umgekehrt funktioniert Patientenkörpersprache natürlich genau so missverständlich. Kommunikation ist bekanntlich keine Einbahnstraße. Auch Sie sind vor Fehlinterpretationen nicht gefeit. Hier müsste das gesprochene Wort ergänzen um ein Aufschaukeln zu verhindern. Was hindert den Patienten daran zu fragen „Sie runzeln da gerade die Stirn. Deute ich das richtig, dass Sie mich nicht verstehen?“ und was würde Sie daran hindern, Ihre Patienten zu fragen: „Wie darf ich diesen Gesichtsausdruck deuten?“ So kann man Missverständnisse durch den Einsatz von Wörtern vermeiden.


NOTFALLINTERVENTIONEN, DO´S UND DONT´S:

Manchmal merkt man buchstäblich, wie ein Patient einen Knopf gedrückt hat. Ein altvertrautes Programm droht sich abzuspulen. Was nun? Wenn Sie Ihrem Abwehr-Impuls folgen, führt das vielleicht zur Eskalation. Sagen Sie gar nichts, weichen Sie aus. Es geht also darum, einfach nur Zeit zu gewinnen, um sich selbst wieder zu regulieren.

Diese Notfall-Tipps lösen keine Probleme, entschärfen aber verbale Sprengsätze und helfen dabei, Zeit zu gewinnen.

  • Vermeiden Sie „immer“ und „nie“. Auch, wenn der Patient schon seit Tagen über den gleichen Sachverhalt schimpft, bleiben Sie als Spiegel bei der aktuellen Situation. „Gerade äußern Sie Unmut.“
  • Rechtfertigen und generalisieren Sie nicht. Kein „Sie sind der erste, den das stört“ oder „die anderen Patienten stört das aber nicht.“ 
  • Zwei Silben als Reaktion. Wenn Sie einen unpassenden Patientenkommentar gehört haben, auf den Sie aber nicht ad hoc reagieren können, überbrücken Sie doch die Reaktionszeit mit einem Zweisilber. „Ach so.“ , „Oha“, „Aha“, „Oh je!“ oder „Au weia!“ liefert dem Patienten die Sicherheit, dass er gehört worden ist und gibt Ihnen Luft zum Nachdenken.
  • Wenn gar nichts hilft, dann sicher die Notfalltechnik „Hörfehler“. Tun Sie so, als hätten Sie nicht verstanden, was der Patient gesagt hat. „Wie bitte? Das kam bei mir nicht an.“ Oder „Ich habe das nicht gehört. Sagen Sie es bitte noch mal?“ In den allermeisten Fällen sind die Unzufriedenen dann so beschämt, dass sie die überzogene Äußerung abmildern oder sogar ganz darauf verzichten. Und wenn nicht, liefert ihnen diese Notfallintervention die Atemlänge Zeit, sich auf eine andere Technik zu besinnen.

Stephanie Katerle